ÜberwachtAtlas

An sogenannten "gefährlichen Orten" darf die Polizei Menschen ohne konkreten Verdacht kontrollieren und durchsuchen. Der ÜberwachtAtlas macht diese Orte in Deutschland sichtbar und dokumentiert, wo solche erweiterten Polizeibefugnisse heute gelten und in der Vergangenheit gegolten haben.

Diese Praxis ist aus mehreren Gründen problematisch:

  • Einschränkung von Bürger*innenrechten und Eindringen in Privatsphäre
  • Erhöhtes Risiko institutioneller Diskriminierung wie Racial Profiling
  • Polizeiliche Machtkonzentration nahezu ohne jegliche Kontrollmechanismen
  • Festlegung und Ausweisung der Bereiche meist ohne ausreichende Transparenz

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Hinweis zur Datenaktualität und -qualität: Die dargestellten Informationen können unvollständig, ungenau oder veraltet sein. Dies liegt an der uneinheitlichen Veröffentlichungspraxis und Intransparenz der Behörden. Zudem erfolgt die Datenveröffentlichung, sofern sie stattfindet, oft erst im Nachhinein. Daher spiegelt die Karte möglicherweise weder den historischen noch den aktuellen Stand vollständig wider.

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"Gefährliche Orte": 126

Leaflet © OSM contr. | © CARTO

Was sind „gefährliche Orte"?

„Gefährliche Orte" ist kein offizieller juristischer Begriff, sondern lediglich ein in der juristischen Praxis verwendeter Arbeitsbegriff. Je nach Bundesland werden diese Bereiche auch als „Gefahrengebiete", „kriminalitätsbelastete Orte", „verrufene Orte", „besondere Kontrollorte" oder „Kriminalitätsschwerpunkte" bezeichnet.

„Gefährliche Orte" sind Gebiete, in denen die Polizei verdachtsunabhängige Identitätskontrollen durchführen und Personen anlasslos durchsuchen kann. Hier entscheidet somit nicht mehr das Verhalten der Person, ob es zu einer Kontrolle kommt, sondern lediglich das Befinden in einem räumlich begrenzten Bereich, womit diese Orte zu „präventive[n] Instrument[en] mit ‚Ortshaftung'" werden [5, S.4]. Personen gelten hier allein aufgrund ihres Aufhaltens an einem Ort, an welchem "tatsächlich" oder "erfahrungsgemäß" mehr Straftaten als an anderen Orten verübt werden bzw. davon auszugehen sei, dass dort in Zukunft viele Straftaten begangen werden, als potenzielle Straftäter*innen und laufen Gefahr, von der Polizei kontrolliert zu werden. Die genauen Voraussetzungen für die Definition eines "gefährlichen Ortes" und die damit einhergehende polizeiliche Umsetzung unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland teilweise stark.

Weshalb sind „gefährliche Orte" problematisch?

Da die Polizei diese Regelungen nicht nur umsetzt, sondern meist auch für deren Festlegung zuständig ist und es nahezu keine Kontrollmechanismen gibt, erhält sie ein besonderes Maß an Eigenständigkeit und Macht [1]. Wenn die tatsachenbasierte Begründung eines Verdachts wegfällt, senkt das die polizeiliche Eingriffsschwelle und begünstigt das Zurückgreifen auf bestehende Deutungsmuster und stereotypenbasiertes Vorwissen [5]. Diskriminierende Praktiken wie Racial Profiling – das polizeiliche Verdächtigen und Umsetzen von Maßnahmen anhand rassistischer Annahmen – werden somit wahrscheinlicher [7]. Wenngleich die Regelungen "neutral gefasst" sind und grundsätzlich "jede Person" kontrolliert werden kann, "sind erfahrungsgemäß typischerweise und ganz überwiegend nicht-weiße oder 'nicht-deutsch' aussehende Personen betroffen" [8]. Bestimmte Orte, häufig solche mit einem hohen Anteil an armutsbetroffenen Menschen und/oder Menschen mit Migrationshintergrund, sowie die dort befindlichen Personen werden kriminalisiert und stigmatisiert [1]. Jedoch machen die Regelungen "als rein verwaltungsinterne Verfahren eine gerichtliche Überprüfung durch betroffene Bürger/innen nahezu unmöglich" [8].

Die „gefährlichen Orte" und deren Umsetzung stehen im Zeichen eines fortschreitenden Autoritarismus, indem die staatliche Überwachung intensiviert wird und in die Privatsphäre eingedrungen wird. An diesen Orten wird die Unschuldsvermutung aufgehoben. Nicht das Verhalten der Personen, sondern das bloße Aufhalten in einem von der Polizei als Kriminalitätsschwerpunkt eingeschätzten Bereich, gilt als Anhaltspunkt für eine mögliche Straftat [1]. Hinzu kommt eine „räumliche Selektivität" als „soziale Selektivität" [1, S. 212]; Menschen, die an „gefährlichen Orten" aufgrund äußerlicher Erscheinungsmerkmale als „gefährlich" markiert werden, werden durch das Risiko kontrolliert zu werden von diesen Orten vertrieben. Diese "Rechtsfiguren wie 'gefährliche Orte' sind nicht nur rechtsstaatlich schädlich, sie sind ebenso wenig bewährte polizeiliche Mittel, um die Aufgabe der Gefahrenabwehr wirksam wahrzunehmen" [8]. Nicht zuletzt sind die fehlende Transparenz und die mangelnde Veröffentlichung der Daten als grundlegende Probleme zu benennen.

Ziele der Karte

Die vorliegende Karte soll auf diese „Verselbstständigung der Polizei per Gesetz" [5, S.1] aufmerksam machen und die fehlende Transparenz seitens der Polizeidirektionen und Innenministerien der Länder und die weiteren genannten Problematiken thematisieren. Im ÜberwachtAtlas werden die öffentlich zugänglichen Daten zusammengetragen und visualisiert, um weiterführende Analysen und Vergleiche zu ermöglichen, Informationen zu bündeln und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Zur Datengenauigkeit und Vollständigkeit

Aufgrund der uneinheitlichen Veröffentlichungspraxis und der zunehmenden Intransparenz seitens der Behörden möchten wir darauf hinweisen, dass unsere Daten die aktuelle Situation nicht vollständig und präzise abbilden können. Dies gilt sowohl für gegenwärtige als auch für historische Daten. Die von uns präsentierten Informationen sind unvollständig und können Ungenauigkeiten aufweisen, da die zugänglichen Daten oft lückenhaft und inkonsistent sind. Wir bemühen uns um bestmögliche Aktualität und Vollständigkeit, können jedoch keine Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit der dargestellten Informationen geben.

Die Karte soll möglichst aktuell und ausführlich gehalten werden, weshalb wir darum bitten, uns per Mail über aktuelle und historische Daten und rechtliche Veränderungen zu informieren. [PGP-Key]

Quellen

[1] Belina, Bernd & Wehrheim, Jan (2011). "Gefahrengebiete": durch die Abstraktion vom Sozialen zur Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen. Soziale Probleme 23(2), S. 207–229.

[2] Ullrich, Peter & Tullney, Marco (2012). Die Konstruktion “gefährlicher Orte”. Technische Universität Berlin.

[3] Assall, Moritz & Gericke, Carsten (2016): Zur Einhegung der Polizei. Rechtliche Interventionen gegen entgrenzte Kontrollpraktiken im öffentlichen Raum am Beispiel der Hamburger Gefahrengebiete. Kritische Justiz 49(1), S. 61–71.

[4] Keitzel, Svenja (2017): Manfred Rolfes: Kriminalität, Sicherheit und Raum. Humangeographische Perspektiven der Sicherheits- und Kriminalitätsforschung. Kriminologisches Journal 49(1), S. 78-81.

[5] Keitzel, Svenja (2020): Varianzen der Verselbstständigung der Polizei per Gesetz. Gefährliche Orte im bundesweiten Vergleich. Kriminologisches Journal 52(3), S. 191–209.

[6] Keitzel, Svenja & Belina, Bernd (2022): Gefahrenorte. Geographische Zeitschrift 110(4), S. 212 - 231.

[7] Thompson, V. E. (2018). „There is no justice, there is just us!“: Ansätze zu einer postkolonial-feministischen Kritik der Polizei am Beispiel von Racial Profiling.

[8] Barskanmaz, Cengiz (2019). „Gefahr oder Nichtgefahr, das ist hier (nicht) die Frage" – Gefährliche Orte im Polizeirecht. JuWissBlog Nr. 76/2019.

[9] Stüer, Bernhard (2023). „Gefährliche Orte"? Gefährlich für Rechtsstaat und Grundrechte! Forum Recht Online.

[10] OVG Hamburg, 13.05.2015 - 4 Bf 226/12

[11] BPolG §23

[12] Sicherheitspaket, 08.2024