An sogenannten "gefährlichen Orten" sowie in "Messer- und Waffenverbotszonen" darf die Polizei Menschen ohne konkreten Verdacht kontrollieren und durchsuchen. Der ÜberwachtAtlas macht diese Orte in Deutschland sichtbar und dokumentiert, wo solche erweiterten Polizeibefugnisse heute gelten und in der Vergangenheit gegolten haben.
Diese Praxis ist aus mehreren Gründen problematisch:
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„Gefährliche Orte" ist kein offizieller juristischer Begriff, sondern lediglich ein juristischer Arbeitsbegriff. Je nach Bundesland werden diese Bereiche auch als „Gefahrengebiete", „kriminalitätsbelastete Orte", „verrufene Orte", „besondere Kontrollorte" oder „Kriminalitätsschwerpunkte" bezeichnet.
„Gefährliche Orte" sind Gebiete, in denen die Polizei verdachtsunabhängige Identitätskontrollen durchführen und Personen anlasslos durchsuchen darf. Somit entscheidet hier nicht mehr das Verhalten der Person, ob es zu einer Kontrolle kommt und eine Person als potenzielle*r Straftäter*in gilt. Stattdessen reicht der Aufenthalt in einem bestimmten Bereich, an welchem "tatsächlich" oder "erfahrungsgemäß" mehr Straftaten als an anderen Orten verübt werden. Die genauen Voraussetzungen für die Definition eines "gefährlichen Ortes" und die damit einhergehende polizeiliche Umsetzung unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland teilweise stark.
Da die Polizei diese Regelungen nicht nur umsetzt, sondern meist auch für deren Festlegung zuständig ist und es nahezu keine Kontrollmechanismen gibt, erhält sie ein besonderes Maß an Eigenständigkeit und Macht [1]. Wenn die tatsachenbasierte Begründung eines Verdachts wegfällt, senkt das die polizeiliche Eingriffsschwelle und begünstigt das Zurückgreifen auf angelernte Stereotype [2]. Diskriminierende Praktiken wie Racial Profiling – das polizeiliche Verdächtigen und Umsetzen von Maßnahmen anhand rassistischer Annahmen – werden somit wahrscheinlicher [3]. Wenngleich die Regelungen "neutral gefasst" sind und grundsätzlich "jede Person" kontrolliert werden kann, "sind erfahrungsgemäß typischerweise und ganz überwiegend nicht-weiße oder 'nicht-deutsch' aussehende Personen betroffen" [4]. Bestimmte Orte, häufig solche mit einem hohen Anteil an armutsbetroffenen Menschen und/oder Menschen mit Migrationshintergrund, sowie die dort befindlichen Personen werden kriminalisiert und stigmatisiert [1]. Jedoch machen die Regelungen "als rein verwaltungsinterne Verfahren eine gerichtliche Überprüfung durch betroffene Bürger/innen nahezu unmöglich" [4].
Die „gefährlichen Orte" und deren Umsetzung stehen im Zeichen eines fortschreitenden Autoritarismus, indem die staatliche Überwachung intensiviert und in die Privatsphäre eingedrungen wird. An diesen Orten wird die Unschuldsvermutung aufgehoben. Denn es wird unabhängig vom Verhalten der Person davon ausgegangen, dass die Person kriminell sei, anstatt davon auszugehen, dass sie es nicht ist [1]. Hinzu kommt, dass Menschen, die an „gefährlichen Orten" aufgrund äußerlicher Erscheinungsmerkmale (wie z.B. Hautfarbe) als „gefährlich" markiert werden, häufiger kontrolliert und somit von diesen Orten verdrängt werden. Die Einführung und Umsetzung sogenannter "gefährlicher Orte" ist nicht nur rechtsstaatlich schädlich, ebenso kann die Wirksamkeit der Gefahrenabwehr nicht nachgewiesen werden [4]. Nicht zuletzt sind die fehlende Transparenz und die mangelnde Veröffentlichung der Daten als grundlegende Probleme zu benennen.
Messer- und Waffenverbotszonen sind spezifische Bereiche, in welchen das Mitführen von Waffen und Messern verboten ist und besonders sanktioniert wird. Waffen umfassen unter anderem Schusswaffen, Hieb- und Stoßwaffen, Reizstoffsprühgeräte, Elektroimpulsgeräte, Armbrüste oder Quarzhandschuhe. Bundesweit regelt § 42 des Waffengesetzes das Verbot des Führens solcher Gegenstände [6]. So ist dort bereits seit einigen Jahren geregelt, dass im Rahmen von öffentlichen Vergnügungen, Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten, Theater, Kinos, Diskotheken oder ähnlichen öffentliche Veranstaltungen, Waffen verboten sind.
Am 31. Oktober 2024 trat schließlich ein Teil des "Sicherheitspakets" der Bundesregierung in Kraft, welches dem erwähnten Waffenverbot auf öffentlichen Veranstaltungen, ein Messerverbot - unabhängig von der Klingenlänge - hinzufügte. Zusätzlich wurde durch § 42 Abs. 5 WaffG den Bundesländern ermöglicht, MWVZ selbstständig einzuführen und umzusetzen, oder die Verantwortlichkeiten auf kommunaler Ebene weiter zu delegieren [8]. Wie im ÜberwachtAtlas zu sehen ist, haben einige Bundesländer diese Möglichkeit bereits genutzt und erste MWVZ eingerichtet.
Die Gebiete, in welchen die Bundesländer MWVZ einführen können, sind:
Der Verstoß gilt in der Regel als Ordnungswidrigkeit und wird in den meisten Bundesländern mit einem Bußgeld bis zu 10.000€ geahndet. Zudem kann der Person die Waffen und Messer abgenommen werden.
Eine entscheidende rechtliche Neuerung im Rahmen des "Sicherheitspakets" war außerdem die Einführung des § 42c WaffG [7]. Dieser ermöglicht der Polizei - analog zu den "gefährlichen Orten" - die Befugnis, an den oben genannten Orten, verdachtsunabhängige Identitätskontrollen und Durchsuchungen durchzuführen.
Im Gegensatz zu den "gefährlichen Orten" werden die MWVZ von den zuständigen Polizeidirektionen selbstständig veröffentlicht und häufig auch kartografisch dargestellt.
Ähnlich wie die „gefährlichen Orte" stellen auch die MWVZ ein fundamentales Problem dar: sie schaffen einen rechtlichen Boden für erstarkenden Autoritarismus, Diskriminierung und Stigmatisierung durch die Polizei. Die erhöhte gesetzliche Verankerung im Rahmen des § 42c legitimiert die intensiven Eingriffe in die Privatsphäre und die Umkehr der Unschuldsvermutung mittels anlassloser Kontrollen nur noch weiter.
Erste Evaluierungen zeichnen ein ernüchterndes Bild zur Effektivität solcher Bereiche. Eine Studie zur Waffenverbotszone in der Leipziger Eisenbahnstraße fand keinen signifikanten Einfluss auf die allgemeine Kriminalität und keine Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Anwohner [5]. Da die Wirksamkeit von MWVZ zur Gefahrenabwehr höchst zweifelhaft ist, wird die Steigerung dieses gesellschaftlichen Sicherheitsgefühls oft als Hauptgrund für deren Errichtung angeführt [10]. Allerdings ist die Erhöhung des Sicherheitsgefühls weder gesetzliches Ziel der Zonen, noch ist es die gesetzliche Aufgabe der Polizei. Außerdem deuten Analysen auf reine Verdrängungseffekte hin, bei denen die Kriminalität in umliegende Gebiete ausweicht [5], [9]. So können die Einführungen und Umsetzungen solcher MWVZ als reine „Symbolpolitik" oder „Schaufensterpolitik" benannt werden, die nach sicherheitsrelevanten Ereignissen Handlungsfähigkeit demonstrieren sollen, ohne die eigentlichen Ursachen von Gewalt zu bekämpfen [9]. Selbst Polizeigewerkschaften kritisieren die neuen Regelungen als unnötigen Mehraufwand ohne Effekt.
Trotz einer gesetzlichen Klausel, die diskriminierende Kontrollen verbieten soll (§ 42c Satz 2 WaffG), ist die Gefahr groß, dass Polizeibeamte ihre Entscheidungen mangels konkreter Verdachtsmomente auf äußere Merkmale und stützen. Die Leipziger Evaluation bestätigte, dass Anwohner*innen die Kontrollen als stigmatisierend und diskriminierend wahrnehmen [5].
Die vorliegende Karte soll auf diese „Verselbstständigung der Polizei per Gesetz" [2, S.1] aufmerksam machen, die fehlende Transparenz seitens der Polizeidirektionen und Innenministerien der Länder problematisieren und die weiteren genannten Problematiken in den Fokus rücken. Im ÜberwachtAtlas werden die öffentlich zugänglichen Daten zusammengetragen und visualisiert, um weiterführende Analysen und Vergleiche zu ermöglichen, Informationen zu bündeln und einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Aufgrund der uneinheitlichen Veröffentlichungspraxis und der Intransparenz seitens der Behörden möchten wir darauf hinweisen, dass unsere Daten (besonders im Kontext "gefährlicher Orte") die aktuelle Situation nicht vollständig und präzise abbilden können. Dies gilt sowohl für gegenwärtige als auch für historische Daten. Die von uns präsentierten Informationen sind unvollständig und können Ungenauigkeiten aufweisen, da die zugänglichen Daten oft lückenhaft und inkonsistent sind. Wir bemühen uns um bestmögliche Aktualität und Vollständigkeit, können jedoch keine vollumfängliche Richtigkeit und Vollständigkeit garantieren.
Die Karte soll möglichst aktuell und ausführlich gehalten werden, weshalb wir darum bitten, uns per Mail über aktuelle und historische Daten und rechtliche Veränderungen zu informieren. [PGP-Key]
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